Schlagwort-Archive: Bergen-Belsen

Blick in das Innere der völlig ausgebrannten Stadthalle (StadtA Hildesheim Best. 951, 8224/2)

Alliierter Luftangriff auf Hildesheim

Am Mittag des 22. März zerstörte ein großer Luftangriff der Alliierten auf das Stadtzentrum von Hildesheim in weniger als einer Stunde die historische Altstadt: 85% der Fachwerkhäuser, 80% aller öffentlichen Gebäude, Schulen und Kirchen, 50% der Industrieanlagen fielen den Flammen zum Opfer. Das alte Hildesheim existierte nicht mehr. Die Gesamtzahl der Opfer wurde nach dem Krieg mit 1.645 Personen ermittelt, darunter 103 Ausländer; 277 Tote waren nicht mehr zu identifizieren. Gründlich zerstört wurden damit auch die in der Stadt verbreiteten Illusionen, Hildesheim werde wegen seiner einmaligen Fachwerkhäuser von den Alliierten verschont.

Unter den zerstörten Gebäuden war auch die Stadthalle. Trotzdem wurden die darin untergebrachten KZ-Häftlinge weiter festgehalten: Sie mussten weiter arbeiten und in der Nähe auf freiem Feld an der Innerste übernachten. Erst nach einigen Tagen wurden sie zu Fuß in das KZ-Außenlager Ahlem bei Hannover in Marsch gesetzt, von wo sie mit den übrigen Häftlingen des Lagers auf den Todesmarsch in das KZ Bergen-Belsen geschickt wurden.

Literatur:
Hans-Dieter Schmid: Hildesheim in der Zeit des Nationalsozialismus. Hildesheim 2015 (im Erscheinen)

„Pass für ehemalige KZ-Häftlinge“ für Christian Franz (Stiftung niedersächsische Gedenkstätten / Gedenkstätte Bergen-Belsen; Privatbesitz)

Ein Ausweis für Christian Franz

Am 19. März 1945 erreicht ein Transport aus dem KZ Mauthausen das KZ Bergen-Belsen. In diesem Transport befinden sich viele Sinti und Roma, unter ihnen auch der fünfjährige Christian Franz und seine Mutter Luise.

Christian Franz wurde am 20. Februar 1939 in Lübeck geboren. Zusammen mit seiner Familie wurde er wegen der Zugehörigkeit zu den Sinti im März 1943 in Bremen verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Gemeinsam mit seiner Mutter Luise Franz wurde er 1944 von dort nach Ravensbrück gebracht. Am 7. März 1945 wurden beide in das KZ Mauthausen verlegt. Am 17. März 1945 wurden sie erneut auf einen Transport geschickt. Am 19. März kommen sie schließlich im KZ Bergen-Belsen an. Dort werden sie am 15. April von der Britischen Armee befreit.

In dem wenige Wochen nach der Befreiung ausgestellten „Pass für ehemalige KZ-Häftlinge“ wird bescheinigt, dass der fünfjährige Christian Franz in den KZ Auschwitz und Ravensbrück war. Es fehlt die Angabe von zwei weiteren Konzentrationslagern, Mauthausen und Bergen-Belsen.
Als „Nationalität“ wird in den Pass „Ungarn“ eingetragen. Wie alle von den Nationalsozialisten als „Zigeuner“ klassifizierten Deutschen war auch Christian Franz seine ursprüngliche Staatsbürgerschaft entzogen worden.

Tagebuch Hanna Levy-Hass

Sterben – Aufzeichnungen von Hanna Lévy-Hass

„BB. März 1945. Wir sind alle von typhusartigem Fieber befallen, und wir bleiben im Bett. Unsere Baracke wurde mit einem besonderen Drahtverhau umzäunt. Eine Quarantäne wurde eingerichtet. Ich hatte 15 Tage lang Fieber. Zuerst hatte ich 41 und 40 Grad Temperatur, dann 39 und 38 Grad. Medikamente gibt es nicht. Wer kann, hält durch. Während dieser 15 Tage hatte ich schreckliche Kopfschmerzen und ständigen Brechreiz. Das Hungergefühl war vollständig verschwunden. Ich habe phantasiert. Ich fühlte nur, daß ich dem Tod nahe war, ganz nah, daß er nicht nur allgemein in der Nähe war, sondern diesmal ganz in meiner Nähe. Ich fühlte seinen Atem in mir selbst.
Ich starb langsam, bewußt. Der Organismus fühlte absolut nichts und schien langsam seine Funktionen einzustellen. Nur der Gedanke an den Tod lebte noch in mir, hartnäckig. Aber um mich herum lagen alle im Sterben – auch jetzt noch sterben sie der Reihe nach.“

Hanna Lévy-Hass, eine Jüdin aus Sarajevo und in der illegalen kommunistischen Partei aktiv, war 30 Jahre alt, als sie die Gestapo im Februar 1944 verhaftete. Im Sommer 1944 wurde sie nach Bergen-Belsen deportiert, wo sie heimlich Aufzeichnungen machen konnte. Im April 1945 wurde sie auf Räumungstransport geschickt und von sowjetischen Truppen befreit. Lévy-Hass kehrte zunächst in das sozialistische Jugoslawien zurück und emigrierte 1948 nach Israel. Sie starb 2001 in Jerusalem. Ihr Tagebuch erschien nach dem Krieg in mehreren Sprachen.

Literatur:
Hanna Lévy-Hass: Vielleicht war das alles erst der Anfang, Tagebuch aus dem KZ Bergen-Belsen 1944-1945, München, 2009

Eintrag im Sterbezweitbuch des KZ Bergen-Belsen über den Tod von Fernand Demoustier Dokument 3397519 (1.1.3.1/0028/0032), ITS Digitales Archiv

Tod von Fernand Demoustier im KZ Bergen-Belsen

Am 16. März 1945 stirbt der belgische Häftling Fernand Demoustier im Männerlager des KZ Bergen-Belsen.

Geboren 1906 in Mons beendete er 1930 erfolgreich sein Jura-Studium an der Universität Brüssel. Inspiriert von den Schriften des französischen Dichters André Breton schloss er sich surrealistischen Kreisen in Brüssel an und begann unter dem Pseudonym Fernand Dumont als Schriftsteller zu arbeiten.

Während der deutschen Besetzung Belgiens ging Fernand Demoustier in den Widerstand, wurde jedoch im April 1942 verhaftet. Über das Gefängnis in Mons brachten ihn die Deutschen über zahlreiche Arbeits- und Konzentrationslager, u.a. Herzogenbusch, Sachsenhausen, Neuengamme, schließlich nach Bergen-Belsen.

Im Sonderstandesamt des KZ Bergen-Belsen wurden 1945 etwa 1.300 Todesfälle beurkundet. Die SS machte sich angesichts der enormen Zahl keine Mühe, sämtliche Toten amtlich zu erfassen. Auch die Todesursache wurde in der Regel nicht untersucht, sondern eine standardisierte Angabe gemacht. Das sogenannte Sterbeerstbuch ließ die SS zusammen mit der Lagerregistratur kurz vor dem Eintreffen der britischen Armee vernichten. Überliefert ist nur das Sterbezweitbuch, das sich als Sicherheitskopie im Standesamt der nahegelegenen Stadt Fallingbostel befand. Hieraus stammt das gezeigte Dokument.

In Mons trägt ein Park den Namen, den Fernand Demoustier sich als Dichter selbst gegeben hat.

Mehr Information:
>>
http://fr.wikipedia.org/wiki/Fernand_Dumont_%28%C3%A9crivain_belge%29

Übersicht über Anzahl und Einsatz der weiblichen Häftlinge des KZ Bergen-Belsen

Am 15. März 1945 unterzeichnet Josef Kramer, der Kommandant des KZ Bergen-Belsen, eine „Übersicht über Anzahl und Einsatz der weiblichen Häftlinge“ für die vergangenen zwei Wochen.

Die SS bezeichnete Bergen-Belsen offiziell als „Aufenthaltslager“, was der ursprünglichen Funktionszuweisung als Austauschlager für jüdische Geiselhäftlinge entsprechen sollte. Hinter der Zahl der 5 481 „Zugänge“ verbergen sich Transporte mit zahlreichen Frauen verschiedener Verfolgtengruppen aus den KZ Ravensbrück, Gross-Rosen und Flossenbürg sowie sechs Geburten. Den größten Anteil an den „Abgängen“ haben mit 1 223 die Verstorbenen. Bei den 63 Entlassungen handelte es sich um Frauen und Mädchen, die zur Gruppe der Juden gehörte, die am 4. März in die Türkei kamen.

Übersichten dieser Art wurden zweimal monatlich jeweils für männliche und weibliche Häftlinge angefertigt. Um diese Zahlen zu ermitteln, ließ die SS die Häftlinge bei jedem Wetter oftmals stundenlang Appell stehen. Auf den hier nicht gezeigten übrigen drei Seiten finden sich Angaben zum Arbeitseinsatz der Frauen.

Dies ist eines der wenigen erhaltenen Dokumente aus der Verwaltung des KZ Bergen-Belsen, denn die SS verbrannte kurz vor dem Eintreffen der britischen Armee die Registratur. Ein niederländischer Funktionshäftling aus der Schreibstube rettete die vorliegende Übersicht vor der Vernichtung.

Drei Häftlingsbaracken im Lager Stöcken (Musée de l’Ordre de la Libération, Paris | N° inventaire: N3279 | Mur Galerie Déportation)

Ein Zeichner im KZ

Auf den 12. März 1945 datiert der französische Künstler und Kunstlehrer René Baumer eine Bleistiftzeichnung von drei Baracken des KZ Hannover-Stöcken.

René Baumer, geboren 1906 in La Mulatière, tritt im Frühjahr 1940 der Résistance bei. Anfang April 1944 wird er verhaftet und für sechs Wochen im Gestapo-Gefängnis Montluc in Lyon inhaftiert. Über das Durchgangslager Compiègne bei Paris kommt er Anfang Juni 1944 in das KZ Neuengamme. Einen Monat später wird er dem KZ Hannover-Stöcken zugeteilt, einem Außenlager von Neuengamme. Er musste in der Bleigießerei der Akkumulatorenfabrik arbeiten. Bei der Räumung des Lagers am 7. April 1945 wurde er zu Fuß in das KZ Bergen-Belsen verbracht und dort am 15. April 1945 befreit. Er kehrte im Mai 1945 nach Frankreich zurück und starb 1982 in Lyon.

Überliefert sind 58 zeitgenössische und später angefertigte Zeichnungen mit Porträts von Mithäftlingen und Szenen aus den Lagern Stöcken und Bergen-Belsen, die im Musée de l’Ordre de la Libération in Paris aufbewahrt werden. Für Baumer war das Zeichnen ein Weg, die schockierenden Erfahrungen seiner KZ-Haft zu verarbeiten.

Literatur:
Rainer Fröbe: Exkurs: René Baumer – Ein Zeichner im KZ. Kunst, Widerstand und Identität im Konzentrationslager, in: ders. u.a., Konzentrationslager in Hannover. KZ-Arbeit und Rüstungsindustrie in der Spätphase des Zweiten Weltkriegs. Zwei Bände. Hildesheim 1985, Band 1, S. 109-130

Maike Bruhns: „Die Zeichnung überlebt…“ Bildzeugnisse von Häftlingen des KZ Neuengamme, Bremen 2007

Websites:
Offizielle Homepage von René Baumer >> http://www.renebaumer.free.fr
Musée de l’Ordre de la Libération >> http://www.ordredelaliberation.fr/fr_doc/3_2_3_deportation.php

Der Taschenkalender, den József Lukács als Tagebuch verwendete. Aufgeschlagen ist die Seite mit seinem Eintrag vom 10. März 1945 (Stiftung niedersächsische Gedenkstätten/Gedenkstätte Bergen-Belsen, Privatbesitz Susanna Christensen)

Ungarnlager KZ Bergen-Belsen: Tagebucheintrag von Jozsef Lukacs

„94. Tag | Samstag, 10. | 33. Tag | Brot für 1 Tag | vollkommen endlose Situation | Marmelade etwa 5 Zig[aretten] | Lüge | Laut Zeitung Panzerschlacht am Rhein“
(Übersetzung aus dem Ungarischen)

Am 10. März hält József Lukács in seinem Tagebuch ein Gerücht zur Kriegssituation und die Verpflegung des Tages fest. Es ist der 94. Tag seit seiner Ankunft im KZ Bergen-Belsen und der 33. Tag seit dem Umzug des Ungarnlagers in einen anderen Lagerbereich.

József Lukács, geboren 1892 in Budapest, kam mit seiner Frau und seiner Tochter am 7. Dezember 1944 in das Ungarnlager nach Bergen-Belsen. Die jüdische Familie war im Sommer aus Mako in Ungarn nach Strasshof (Österreich) deportiert und dort in der Landwirtschaft zur Zwangsarbeit eingesetzt worden.

Während die übrigen Häftlinge des Ungarnlagers Anfang April mit Räumungstransporten das Lager verlassen, bleibt er mit seiner Familie in Bergen-Belsen zurück, weil er zu schwach für den Transport ist. Er stirbt zwei Tage nach der Befreiung von Bergen-Belsen am 17. April 1945. Das Tagebuch führt seine damals 12jährige Tochter Zsuzsanna weiter.

Literatur:
Bergen-Belsen – Neue Forschungen. Herausgegeben von Habbo Knoch und Thomas Rahe. Göttingen: Wallstein, 2014

Die Urne von Karl Schlombach

Ab März 1945 sterben im KZ Bergen-Belsen täglich mehrere hundert Menschen. Die Zahl der auf dem Lagergelände liegenden Leichen nimmt beständig zu.

In dieser Situation unterschreibt am 8. März 1945 der Kriminalbeamte und SS-Untersturmführer Wilhelm Frerichs im KZ Bergen-Belsen die Todesbenachrichtigung an die Witwe von Karl Schlombach und bietet an, die Urne mit der Asche ihres Mannes nach Berlin zu schicken. Sie reicht daraufhin die notwendigen Papiere ein.

Karl Schlombach wurde 1897 in Teltow bei Berlin geboren. Ab 1928 betrieb er ein Baugeschäft. Bereits im März 1933 geriet er aus politischen Gründen in das Visier der neuen Machthaber. In den folgenden Jahren sah er sich zahlreichen Schikanen durch die Behörden und die Gestapo ausgesetzt, immer wieder kam es zu Vorladungen und Verhaftungen. Nach einer Festnahme in Berlin wegen öffentlicher Beschimpfung der Regierung im Juli 1944 wurde er im September in das KZ Sachsenhausen überstellt. Anfang Februar 1945 wurde er von dort in das KZ Bergen-Belsen gebracht.

Karl Schlombach stirbt am 25. Februar 1945 im KZ Bergen-Belsen. In den Benachrichtigungen an Angehörige wurde häufig „Kreislaufschwäche“ angegeben, um die tatsächliche Todesursache zu verschleiern.

Gedenkstein für Anne und Margot Frank auf dem Gelände der Gedenkstätte Bergen-Belsen

Anne und Margot Frank sterben im KZ Bergen-Belsen im März 1945

Anne Frank wird am 12. Juni 1929 als Kind jüdischer Eltern in Frankfurt am Main geboren.

Als 1933 in Deutschland die Verfolgung der Juden beginnt, zieht die Familie Frank nach Amsterdam.

Nach der Besetzung der Niederlande im Mai 1940 setzt auch dort die Judenverfolgung ein. Am 12. Juni 1942 beginnt Anne Frank ihr Tagebuch. Vom 6. Juli 1942 an versteckt sich die Familie im Hinterhaus der Prinsengracht 263. Nach der Verhaftung am 4. August 1944 wird die Familie in das Durchgangslager Westerbork gebracht und von dort am 3. September 1944 mit dem letzten Transport aus den Niederlanden in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Dort wird mehr als die Hälfte der Häftlinge sofort in den Gaskammern ermordet. Anne Frank wird zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Margot zur KZ-Zwangsarbeit selektiert. Ende Oktober 1944 werden die Geschwister mit mehr als Tausend anderen Frauen von Auschwitz nach Bergen-Belsen transportiert. Dort sterben beide im März 1945 an Typhus und Entkräftung. Die genauen Todesdaten sind unbekannt.

Aus Anlass des 70. Geburtstages von Anne Frank wird 1999 auf dem Gelände der Gedenkstätte Bergen-Belsen ein symbolischer Grabstein für sie und ihre Schwester Margot Frank aufgestellt. Viele Besucher legen hier persönliche Gegenstände nieder.

Tagebuchseite mit dem Eintrag vom 5. März 1945, Gedenkstätte Bergen-Belsen, Schenkung Louis Tas

KZ Bergen-Belsen: Tagebucheintrag von Louis Tas am 5. März 1945

„5. März. Vollständigkeitshalber: Das Schneebaum-Lager ist teilweise auf Transport gekommen; natürlich wieder die entsprechenden Gerüchte über uns. Es wird höchste Zeit, in Anbetracht des Zustands meiner Eltern und meiner eigenen lebhaften Gedanken an frühere Nahrungsmittel. Manchmal überfällt mich auch ein fast noch lebhafteres Heimweh nach Küche 3.“

Der niederländische Medizinstudent Louis Tas wurde als 23jähriger im März 1944 über das Durchgangslager Westerbork in das KZ Bergen-Belsen gebracht. Er hatte schon früher Tagebuch geschrieben und setzte diese Gewohnheit im Lager fort. Seine Notizen, Erlebnisse und Erinnerungen schrieb er mit verdünnter Tinte.

Louis Tas wurde am 23. April 1945 bei Tröbitz durch die Rote Armee befreit und kehrte nach Amsterdam zurück. 1946 veröffentlichte er sein Tagebuch unter dem Pseudonym Loden Vogel („Bleierner Vogel“). Von 1958 bis 2009 arbeitete er als Psychotherapeut. 2011 verstarb Louis Tas im Alter von 90 Jahren.

Literatur:
Loden Vogel: Tagebuch aus einem Lager, Göttingen 2002