Rühem Monatsbericht Maerz 1945

Kinderlager Rühen

In der „Ausländerkinder-Pflegestätte Rühen“ des Volkswagenwerkes sterben im März 1945 ebenso viele Kinder wie im gleichen Zeitraum aufgenommen wurden.

Die „Pflegestätte“ wurde für neugeborene Kinder osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen des Volkswagenwerkes als Barackenlager eingerichtet und existierte von Juni 1944 bis April 1945 am Ortsrand von Rühen in der Nähe des heutigen Wolfsburg.
Während des Bestehens des Heims überlebten mehr als 350 der dort untergebrachten Säuglinge die katastrophalen hygienischen Verhältnisse, Epidemien, die fehlende Versorgung mit Nahrung und die Vernachlässigung durch das Pflegepersonal nicht. Unabhängig von der tatsächlichen Todesursache wurde oft „angeborene Lebensschwäche“ als Grund des Todes angegeben.
Die Mütter hatten kaum eine Möglichkeit, ihre Kinder zu besuchen, mussten aber eine hohe Summe ihres geringen Lohnes für die „Unterbringung“ zahlen.
Der für das Lager zuständige VW-Betriebsarzt Dr. Hans Körbel wurde 1947 von einem britischen Militärgericht verurteilt und hingerichtet.

Literatur:
Erinnerungsstätte an die Zwangsarbeit auf dem Gelände des Volkswagenwerks, Katalog der Ausstellung, Wolfsburg 1999, Ausgabe 2014 >> http://www.volkswagenag.com/content/vwcorp/info_center/de/publications/2014/07/katalog_estaette.bin.html/binarystorageitem/file/Erinnerungsst%C3%A4tte_Katalog_Ausgabe+2014_07_25+%282%29.pdf

Klaus-Jörg Siegfried: Das Leben der Zwangsarbeiter im Volkswagenwerk 1939 – 1945, Frankfurt am Main 1988, S. 241 ff.

Weitere Informationen online:
>> http://wolfsburg.vvn-bda.de/tag/kinderlager

8 Gedanken zu „Kinderlager Rühen

  1. Ludwig, Cornelia

    Guten Tag,
    mich interessiert, wer die 10 Mitangeklagten im Prozess gegen Dr. Hans Koerbel waren und ob und wie sie verurteilt wurden. Bisher konnte ich leider im Internet darüber keine Informationen finden.

    Mit freundlichen Grüßen

    C. Ludwig

    1. Juliane Hummel

      Hallo,
      vielen Dank für Ihr Interesse.
      Die Frage ist leider nicht so leicht zu beantworten, sodass wir lediglich an andere Stellen verweisen können, die sich intensiv mit dem „Ruehen Baby Case“-Prozeß beschäftigt haben.
      Möglicherweise befinden sich im Historischen Archiv von VW Kopien der Prozeßakten, die über die Mitangeklagten Auskunft geben (http://www.volkswagenag.com/content/vwcorp/content/de/the_group/history/archives.html). Die Originale werden in den National Archives, London unter der Signatur WO 235/263 bis 277 verwahrt (http://discovery.nationalarchives.gov.uk/details/r/C4407662).
      Zu rechnen ist aber auch damit, dass das Personal in unterschiedlichen Prozessen angeklagt war.
      Die Kreisvereinigung Wolfsburg des VVN-BdA hat sich intensiv mit dem „Kinderlager“ Rühen beschäftigt. Vielleicht weiß man auch dort mehr zu den Mitangeklagten.
      Beste Grüße
      Juliane Hummel

      1. AutorNRW

        Hallo Interessenten :-),

        es freut mich sehr, dass man sich für dieses nahezu „vergessene“ Kinderlager interessiert. Ich bin freiberuflicher Autor und widme mich ebenfalls diesem Thema, insbesondere was die Täterschaft betrifft. Ich schreibe über die Oberschwester Ella Schmidt, die in diesem Lager eine entscheidende Rolle gespielt.

        Die britischen Prozessakten aus dem National Archives sind schwer zugänglich, konnte jedoch Kopien anfordern. (Ich habe dort gute Kontakte).

        Über weitere Anregungen würde ich mich freuen.

        Liebe Grüße

        der Autor

    2. Traugott Vitz

      Die Frage nach den Mitangeklagten lässt sich durch den Aufruf dieses Links beantworten: https://discovery.nationalarchives.gov.uk/details/r/C4407662. Verurteilt wurden Dr. Körbel und Schwester Ella Schmidt zum Tode und Schwester Liesel Bachor zu 5 Jahren Freiheitsstrafe. Die Strafe von Dr. Körbel wurde vollstreckt; Ella Schmidt wurde zunächst zu „lebenslang“ begnadigt, und ihre Strafe wurde später auf 21 Jahre herabgesetzt. 1954 wurde sie entlassen (https://discovery.nationalarchives.gov.uk/details/r/C238759). Das Wortprotokoll des Prozesses ist in 30 PDF-Dateien verfügbar. Man findet sie, wenn man https://www.legal-tools.org/en/browse/ltfolder/0_29696/#results aufruft und nach „TYROLT“ sucht.

  2. Sebastian Hohensee

    Guten Tag,

    mein Name ist Sebastian Hohensee. derzeit forsche ich über den Pastor Erich Bammel, der in dem Prozess auch eine Rolle gespielt und als Zeuge der Verteidigung fungiert hat.
    An den Autor habe ich die Frage, ob die Prozessakten WO 235/263-277 digitalisiert vorliegen bzw. wenn im Privatbesitz eine Kopie möglich wäre?

    Vielen Dank!

    1. Juliane Hummel

      Lieber Herr Hohensee,
      in unserer Dokumentationsstelle zur Geschichte von Widerstand und Verfolgung 1933-1945 auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen in Celle (http://gedenkstaettenfoerderung.stiftung-ng.de/de/forschung-dokumentation/) liegen folgende Akten zum „Ruehen Baby-Case“ vor:
      – Prozessakten: The National Archives, London, PRO WO 235/263 bis 277 als Mikrofilm aus dem Bestand Bundesarchiv Koblenz, All. Proz. 8, FC2867N (nicht komplett, lediglich Teilverfilmung)
      – Ermittlungsakte: The National Archives, London, PRO WO 309/172 als Papierkopie (komplett). Von den Ermittlungsakten WO 309/100, 173, 635, 1568 und 1869 sind keine Reproduktionen vorhanden, jedoch Inhaltsübersichten.
      Soweit wir das wissen, liegen im Stadtarchiv Wolfsburg ebenfalls Kopien der Prozessakten (http://www.wolfsburg.de/stadtarchiv). Auch Volkswagen hat seinerzeit Akten aus dem Prozess beschafft (https://www.volkswagenag.com/de/group/history.html).
      Beste Grüße
      Juliane Hummel

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