Links: Johannes Rentsch, Oberregierungsrat und SS-Obersturmbannführer, Leiter der Gestapoleitstelle Hannover 1943-1945. Foto von 1936. Rechts: Karl Dräger, Regierungs- und Kriminalrat sowie SS-Sturmbannführer, ab Frühjahr 1943 Stellvertreter des Chefs der Kriminalpolizeileitstelle Hannover, ab Frühjahr 1944 Chef der Kripo. (Bundesarchiv)

„Standrechtliche“ Erschießung eines Gestapobeamten

Am 9. April 1945, einen Tag vor der Befreiung Hannovers durch US-amerikanische Truppen, wird auf dem Schützenplatz der 35jährige Polizeiinspektoranwärter Willi Bertram „standrechtlich“ erschossen.

Er hatte sich einige Tage zuvor zu seiner evakuierten Familie in die Nähe von Einbeck abgesetzt. Als er am 9. April noch einmal nach Hannover zurückkehrte – angeblich um bei der Passstelle im Polizeipräsidium für sich und seine Geliebte Personalausweise zu beantragen – wurde er von Gestapochef Rentsch zufällig vom Fenster aus erkannt, hereingerufen und sofort verhaftet. Rentsch war zu dieser Zeit als „Kommandeur der Sicherheitspolizei“ zugleich Vorgesetzter des Kripochefs Dräger, den er zum Vorsitzenden eines ad hoc eingesetzten Standgerichts machte. Rentsch übernahm die Rolle des Anklägers. Ohne die einfachsten Formalitäten einzuhalten, verurteilte dieses „Standgericht“ Bertram wegen „Fahnenflucht“ zum Tode. Das Urteil wurde noch am gleichen Tag auf dem Kleinkaliberschießstand beim Schützenplatz durch ein Kommando der Schutzpolizei vollstreckt, die Leiche in der Nähe verscharrt.

Der „Fall Bertram“ wurde von Angehörigen der hannoverschen Gestapo in Gerichtsprozessen nach dem Krieg gern als Beleg dafür angeführt, dass sie in der Kriegsendphase unter Befehlsnotstand gestanden hätten. Ein Ermittlungsverfahren zum Fall Bertram wurde im Juni 1955 eingestellt.

Johannes Rentsch: Oberregierungsrat und SS-Obersturmbannführer, Leiter der Gestapoleitstelle Hannover 1943-1945. Rentsch ist bei Kriegsende untergetaucht und konnte nie ermittelt werden.

Karl Dräger: Regierungs- und Kriminalrat sowie SS-Sturmbannführer, ab Frühjahr 1943 Stellvertreter des Chefs der Kriminalpolizeileitstelle Hannover, Felix Linnemann, eines bekannten Sportfunktionärs, nach dessen Rückzug aus Krankheitsgründen selbst Kripochef ab Frühjahr 1944. Erst nach dem Amnestiegesetz von 1954 nahm er wieder seinen richtigen Namen an.

Literatur:
Hans-Dieter Schmid: Organisationen des Terrors: Gestapo und SS. In: Julia Berlit-Jackstien/Karljosef Kreter (Hrsg.): Abgeschoben in den Tod. Die Deportation von 1001 jüdischen Hannoveranerinnen und Hannoveranern am 15. Dezember 1941 nach Riga, Hannover 2011, Seite 124-179

ders.: Die Verfolgung der Sinti und Roma durch die Kriminalpolizei Hannover, Hannover 2016

2 Gedanken zu „„Standrechtliche“ Erschießung eines Gestapobeamten

  1. Claus Schroeter Netzwerk MigrationsMedizin

    über den „SS-Sturmbannführer Dräger“, damals zugleich Regierungs- und Kriminalrat, befindet sich im Archiv in Osnabrück der „Vilal Schlicker“ (damalige Nazi-Verwaltungszentrale in Osnabrück) ein Dokument „an den Herrn Regeirungspräsidenten in Osnabrück“ mit Posteingangsstempel 11.04.1943, des Inhalts „Betr.: Einweisung von zigeunerischen Personen in das KL.-Auschwitz. Bezug: Mein Schreiben vom 8.2.43 – Nr. k 9/43 Die im Zuge des Erlasses des RSHA. vom 29.1.43 angeordnete Aktion gegen zigeunerische Personen ist abgeschlossen. Aus dem dortigen Bezirk wurden 54 Personen, und zwar aus Osnabrück (Stadt) in das KL.-Auschwitz eingewiesen. Schwierigkeiten bei der Durchführung der Aktion haben sich nicht ergeben. Im Auftrage: (Dräger) SS-Sturmbannführer und Regiesrungs- und Kriminalrat.“

    Inwieweit eine Tätigkeit Februiar bis April 1943 mit dem Begriuff „Befehlsnotstand“ belegt werden kann, ist nahc meiner Beurteilung zweifelhaft.
    Jedoch erscheint mir drinegnd notwendig, den Begriff „Befehlsnotstand“ heute rechtlich neu zu definieren, da heute zunehmend Sachverhalte entstehen, deren Bearbeitung von zuständigen oder nicht zuständigen Mitarbeitern deutscher Verwaltungen einer Einstufung bedürfen. Zwar existieren z.B. für Polizeibedienstete und bei der Pilotenvereinigung segmentale Verweigerungs- bzw. Anzeigerechte, aber auch bei durch Vorgesetzte angelehnten Durchführungsverweigerungen in einzelnen Einrichtungen (z.B. Polizei) zur Erfüllungspflicht führen. Meiner ANsicht nach bedarf es einer gesetzlichen Regelung udn -soweit eine solche herangezogen werden kann- einer obrstgerichtlichen Klarstellung.

  2. Hans-Dieter Schmid

    Ich denke, es geht aus meinem Text klar hervor, dass ich den Begriff „Befehlsnotstand“ (ausdrücklich in Anführungszeichen) nicht auf das Verhalten Drägers bei der Deportation der Osnabrücker Sinti im Jahr 1943, sondern auf den Fall Bertram in der Kriegsendphase bezogen habe, dessen Erschießung in den Verfahren nach dem Krieg mehrfach von ehemaligen Gestapobeamten als Beweis dafür angeführt wurde, dass sie unter Befehlsnotstand gestanden hätten. Dass der Fall dazu nicht taugt, zeigen ja die näheren Umstände dieser Erschießung, die ich darzustellen versucht habe.
    Der Brief Drägers an den Regierungspräsidenten von Osnabrück vom 1.4.1943, dessen Original sich im Staatsarchiv Osnabrück befindet, ist übrigens bereits mehrfach veröffentlicht worden, zuletzt als Faksimile in meinem Büchlein zur Kriminalpolizeileitstelle Hannover (Die Verfolgung der Sinti und Roma durch die Kriminalpolizei Hannover, Hannover 2016, S. 27).

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