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Ein polnischer Geistlicher mit einer Gruppe befreiter Zwangsarbeiterkinder als Ministranten bei der Kapelle des St.-Martini-Krankenhauses in Duderstadt, 1945. (Foto: Privatbesitz Mirosław Kukliński)

Schokolade und Jeeps

Mirosław Kukliński war als vierjähriges Kind mit seinen Eltern während des Aufstandes 1944 aus Warschau verschleppt worden. In Duderstadt musste die Mutter in der Reißwollfabrik Hollenbach Zwangsarbeit leisten.

Der 9. April 1945 wird für beide zu einem Feiertag. Amerikanische Soldaten italienischer Abstammung besetzen das Fabrikgelände. Die Mutter ist eine Freundin italienischer Lieder, die sie seit jeher häufig gesummt hat. Der kleine Mirosław erhält von den Befreiern Süßigkeiten. Mit anderen Kindern steigt er in einen Jeep, löst die Handbremse – und der Wagen rollt bergab. Ein Soldat springt ins Auto und bremst es.

Auf die Amerikaner folgen englische Soldaten als Besatzungsmacht. Sie richten für die befreiten Zwangsarbeiterkinder einen Kindergarten und eine Schule ein. Polnische Geistliche gründen eine Ministrantengruppe. – Es ist Duderstadt, wo Mirosław Kuklińskis große Liebe zum Englischen, zur amerikanischen Kultur beginnt. Jahre später studiert er an der University of New Hampshire Anglistik.

Film:
„Als Zwangsarbeiterkind in Südniedersachsen 1944-1946. Filmisches Interview mit Mirosław Kukliński. – DVD, Geschichtswerkstatt Duderstadt e.V.

Website:
http://www.geschichtswerkstatt-duderstadt.de/zwangsarbeiterkind.html

Das KZ Außenlager in Duderstadt am 10. April 1945, einen Tag nach der Besetzung durch amerikanische Truppen. Im Hintergrund die Munitionsfabrik Polte, in der die Häftlinge hatten arbeiten müssen. (Foto aus: Günther Siedbürger: Zwangsarbeit im Landkreis Göttingen 1939-1945, Duderstadt 2005)

Verhinderte Befreiung. Abtransport von KZ-Häftlingen vor der heranrückenden Front aus Duderstadt

Im Außenlager des KZ Buchenwald bei der Munitionsfabrik Polte in Duderstadt sind 750 jüdische Ungarinnen inhaftiert. Zwischen dem 5. und 7. April 1945 werden sie nach Seesen abtransportiert, unter ihnen am 6. April Marta Schweitzer.
Die Siebzehnjährige notiert: „Wir stehlen die Rüben, egal, ob uns der Posten sieht und auf uns schießt, egal ob sie uns den größten Schatz, unser drei Zentimeter langes Haar, abschneiden. Wir wollen nicht verhungern, bevor wir die Amerikaner gesehen haben. Man kann ja die Kanonen von so nah hören (… ) Freitagnachmittag großer Lärm, Gerenne, wir kommen kaum zu uns, da werden wir schon mit Schäferhunden aus den Blocks getrieben. (… ) wir haben Pech, im strömenden Regen auf offenem Lastwagen wie die Heringe zusammengepfercht, im Brotbeutel ein paar halb verfaulte Futterrüben, so beginnt die Flucht vor der Befreiung.“

Die Häftlinge werden von der SS-Wachmannschaft in Güterwaggons auf den Weg nach Theresienstadt gebracht. Die amerikanischen Truppen erreichen Duderstadt erst am 9. April 1945.

Literatur:
Götz Hütt (Hg.): „Jede Minute, die wir noch leben, ist von Nutzen“ – Lebensgeschichtliche Interviews mit ehemaligen Häftlingen des KZ-Außenlagers Duderstadt, Norderstedt 2011.

Website:
www.geschichtswerkstatt-duderstadt.de