Schlagwort-Archive: Holzen

Amerikanisches Luftbild des Bahnhofs Celle unmittelbar vor dem Angriff, 8. April 1945. (US Air Force Historical Research Center Agency, Maxwell)

Das Massaker von Celle

Kurz nach 18 Uhr greifen amerikanische Flugzeuge den frontnahen Güterbahnhof von Celle an. Dort steht ein Transportzug mit 3000 männlichen Häftlingen aus den geräumten KZ-Außenlagern Drütte und Holzen sowie 450 Frauen aus dem KZ-Außenlager Salzgitter-Bad. Zwischen 400 und 500 Häftlinge sterben bei dem Angriff.

Die Überlebenden fliehen in die Stadt oder ins nahe Waldgebiet „Neustädter Holz“. In den folgenden 24 Stunden machen SS-Bewacher, Wehrmachtssoldaten, Polizisten und Zivilisten Jagd auf die Entflohenen. Den Gewaltexzessen und Erschießungen fallen mindestens 170 Häftlinge zum Opfer. Mehr als 2000 Gefangene treibt die SS auf einen Todesmarsch ins KZ Bergen-Belsen, wo viele an Entkräftung und an den Folgen einer Typhus-Epidemie starben. 300 verletzte Häftlinge lässt sie unversorgt in der Celler Heidekaserne zurück.

Die Toten wurden später auf dem Celler Waldfriedhof bestattet.

Literatur:
Bernhard Strebel: Celle April 1945 revisited. Bielefeld 2008.

 

 

Piet Mathijssen zusammen mit seinen Eltern nach seiner Rückkehr aus Deutschland 1945 (Foto: Piet Mathijssen, Roosendaal, NL)

Piet Mathijssen berichtet über seine Befreiung im Zuchthauslager Holzen

Nachdem der niederländische Widerstandskämpfer Piet Mathijssen den Todesmarsch vom Zuchthaus Hameln in das Zuchthauslager Holzen nur knapp überlebt hatte, wird er dort am 7. April 1945 von US-amerikanischen Truppen befreit. Er berichtet:

„Am 7. April bekam ich etwas Brot. Es herrschte eine nervöse Spannung: die Amerikaner waren im Anmarsch. (…) Ich hatte die Ruhr, eine Art Hungertyphus, aber ich hoffte und betete weiterhin, dass alles bald vorbei sei. Eine weiße Flagge wurde gehisst, und dann kamen die Befreier. Ich kam tatsächlich aus meinem Bett heraus und umarmte den erstbesten Amerikaner und konnte nur sagen: ´Happy, happy´! Und er: ´My good friend.` Ein unendliches, nicht zu beschreibendes Glücksgefühl überfiel mich: Ich schrie es allen zu: ´Ich bin frei; ich kann wieder nach Hause.´
Dann wurde ich in das ungarische Kriegslazarett in Eschershausen aufgenommen und dank der neuen Medikamente kriegten sie mich wieder auf die Beine. Die erste Nacht konnte ich nicht schlafen, weil ich die Flöhe vermisste. (…)
Am 2. Juni kam mein Vater nach Soissons (Frankreich), um mich abzuholen, und ich wurde wieder vereint mit meinen Eltern, Brüdern und Schwestern.“ (Auszüge aus einem Interview mit Bernhard Gelderblom, Sommer 2012)

Film:
Mehmet Ülger und Astrid van Unen: Nacht und Nebel. Het verhaal van mijn Opa. Dokumentarfilm Amsterdam 2012 (Deutsche Fassung: Nacht und Nebel. Die Geschichte meines Opas, Hameln 2013)

Weblinks:
> Bernhard Gelderblom: Bürger aus den Benelux-Staaten als NS-Verfolgte im Zuchthaus Hameln 1942-1945
> Bernhard Gelderblom: Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit und in der Nachkriegszeit

Camille Delétang. Zeichnung von Eugéne Labreux, 29. September 1944. (KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora)

Die Auflösung des KZ Holzen

Das KZ-Außenlager „Hecht“ in Holzen (Kreis Holzminden) gehört zu einem Komplex zur Verlagerung von Rüstungsproduktion in Bergwerksstollen im Umfeld der Stadt Eschershausen. Seit August 1944 entstanden hier Lager für mehr als 5.000 KZ-Häftlinge, Strafgefangene und Zwangsarbeiter.

Am 31. März 1945 wurden 696 Häftlinge in Güterwagons verladen und in das KZ Buchenwald gebracht. Weitere ca. 350 Häftlingen gingen am 5. April 1945, unter ihnen der Franzose Camille Delétang, auf Transport über Salzgitter-Drütte in das KZ Bergen-Belsen. Am 8. April geriet der Transport in Celle in einen alliierten Luftangriff mit zahlreichen Toten. Delétang überlebte. Seine Zeichnungen aus dem KZ-Holzen wurden bei der Flucht vor den Bomben gestohlen.

Die Dokumente wurden nach dem Luftangriff in Celle gefunden und 2012 an die KZ Gedenkstätte Mittelbau-Dora übergeben.

Literatur:
Jens-Christian Wagner (Hg.), Wiederentdeckt. Zeugnisse aus dem KZ-Holzen, Göttingen 2013.

 Website:
www.dora.de

Der Niederländer Derk Heero Schortinghuis, Zuchthausgefangener in Hameln (Derk Heero Schortinghuis, Met de dood voor ogen, Bedum 2000)

Ein Todesmarsch entlang des Ith

Am 5. April verlassen etwa 450 Mann, überwiegend Ausländer, das Zuchthaus Hameln. Ziel ist das ca. 40 Kilometer entfernte Zuchthausaußenlager Holzen.

Der Gefangene Derk Heero Schortinghuis erinnert sich:
„Vierhundert Knastbrüder mit ihren Decken als Cape über der Schulter: Vor uns liegt ein 40 km langer Marsch. Das Schuhwerk variiert von hölzernen Sandalen bis hin zu guten Lederschuhen.
In Hameln stehen alle Häuser leer. Die Stadt ist vor den anrückenden Amerikanern evakuiert worden. Zwei flüchtende Italiener werden hier von den Wachtmeistern erschossen.
Auf Nebenstraßen geht es durch zahlreiche Dörfer entlang des Ith südwärts nach Holzen. Ungefähr um zwölf setzt ein feiner Nieselregen ein. Unsere Füße werden zu bleiernen Lehmklumpen.
Wer die ausgezehrten, eiternden und verlausten Körper gesehen hat, hätte sich gewundert, dass man damit noch 15 Kilometer laufen kann. Und bei zwei dünnen Brotschnitten läuft schon ein gesunder Mensch nicht weit.
Die nicht mehr weiter können, nehmen die Kameraden so gut wie möglich zwischen sich. Ein Wachtmeister, der den Schluss der Kolonne bildet, sorgt dafür, dass es keine Nachzügler gibt. Mit Gewehrkolbenschlägen treibt er die Schwachen weiter und droht: Wer zurückbleibt, wird erschossen. Es liegen in der Tat Leichen entlang der Straße.“ (Auszug aus dem Zeitzeugenbericht von Derk Heero Schortinghuis)

Der Marsch ging bis in die Nacht hinein. Die Letzten erreichten Holzen erst am Morgen des 6. April. Zehn Tote sind nachgewiesen, darunter drei Niederländer. Wie viele Todesopfer der Marsch insgesamt erforderte, ist nicht geklärt.

Literatur:
Derk Heero Schortinghuis: „Met de dood vor ogen“ (Den Tod vor Augen), Bedum 2000

Weblinks:
> Bernhard Gelderblom: Bürger aus den Benelux-Staaten als NS-Verfolgte im Zuchthaus Hameln 1942-1945
> Bernhard Gelderblom: Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit und in der Nachkriegszeit

Der belgische Widerstandskämpfer Ortar De Pauw (Sammlung Erik De Pauw, Belgien)

Irrweg durch Mitteldeutschland

Am 3. April 1945 werden die etwa 450 Gefangenen des Hamelner Zuchthausaußenlagers Holzen auf Marsch gesetzt, darunter zahlreiche Niederländer, Belgier und Luxemburger. Unterwegs per Bahn und zu Fuß irrt die Kolonne durch Mitteldeutschland. Kein Zuchthaus ist in der Lage, die Männer aufzunehmen.

Unter ihnen ist auch der Belgier Ortar De Pauw. Nur äußerst mühsam übersteht er die langen Märsche. Über seine letzten Stunden in Bad Liebenwerda berichtet sein Weggefährte, der Arzt Dr. Etienne Grandrie: „Vollkommen geschwächt lag er im Gras, ohne die Kraft, aufzustehen und seine magere Ration zu holen. Ich habe daraufhin seine sofortige Aufnahme im Krankenhaus angefragt. Wir haben gesehen, wie er auf einer Karre abgefahren wurde.“  Ortar De Pauw stirbt am 14. April 1945 in Bad Liebenwerda. Er wird mit vier anderen Hamelner Gefangenen in einem Massengrab bestattet.

Nach zwölf Tagen Irrweg durch Mitteldeutschland sollen 228 Männer am 14.4. das Zuchthaus Dreibergen in Mecklenburg erreicht haben. Hier wurden sie am 3. Mai von der Roten Armee befreit. Augenzeugen haben die Zahl der Toten auf 200 geschätzt. Nur 21 sind namentlich bekannt.

Quelle des Zitats:
Aus einem Brief des Mitgefangenen Etienne Grandrie vom 27.6.1945 an die Witwe von Ortar De Pauw (Sammlung Eric De Pauw, Belgien)

Websites:
> Bernhard Gelderblom: Bürger aus den Benelux-Staaten als NS-Verfolgte im Zuchthaus Hameln 1942-1945
> Bernhard Gelderblom: Das Zuchthaus Hameln in der NS-Zeit und in der Nachkriegszeit

Édouard Rageau. Zeichnung seines Mithäftlings Camille

Tod von Édouard Rageau

Im KZ-Außenlager „Hecht“ in Holzen (Kreis Holzminden) fertigt der französische Oberst Camille Delétang heimlich ein Porträt seines Mithäftlings Édouard Rageau an. Zehn Tage später ist der Résistance-Kämpfer, der im August 1944 nach Buchenwald deportiert worden ist, tot. Mithäftlinge bestatteten die Leiche mit einem Erkennungsring auf dem Gemeindefriedhof in Holzen, sodass der Tote bei der Exhumierung nach Kriegsende eindeutig identifiziert werden konnte. Der Leichnam Édouard Rageaus wurde 1949 in seinen Heimatort Souvigné überführt.

Das Lager Holzen bestand seit September 1944 als Außenlager des KZ Buchenwald. Die Insassen mussten Zwangsarbeit beim Aufbau eines unterirdischen Rüstungskomplexes leisten. Im März 1945 war das Lager mit rund 1100 Häftlingen belegt, vorwiegend politischen Gefangenen aus Frankreich und Polen sowie jüdischen Häftlingen, die aus dem geräumten KZ Auschwitz nach Holzen deportiert worden waren.

Literatur:
Jens-Christian Wagner (Hg.), Wiederentdeckt. Zeugnisse aus dem KZ Holzen, Göttingen 2013.

Website:
>> http://www.dora.de/1079/

Das Gefängnis Hameln in einem Luftbild aus den 1960er Jahren (Stadtarchiv Hameln)

Marcel Le Louarn stirbt im Zuchthaus-Außenlager Holzen

Der Franzose Marcel Le Louarn wurde am 4. Oktober 1909 in Camlez im Departement Cotes du Nord geboren. Der Arbeiter wohnte in Brest, 36 Rue de la republique. Seit 1943 in Haft, wurde Le Louarn am 24. Januar 1944 wegen eines geringfügigen Diebstahls von einem deutschen Kriegsgericht in Frankreich zu einer langen Freiheitsstrafe verurteilt.

Marcel Le Louarn kam im Zuge der Räumung frontnaher Strafanstalten im Westen mit einem vielköpfigen Sammeltransport aus dem Zuchthaus Rheinbach bei Bonn am 16. September 1944 in das damals völlig überfüllte Zuchthaus Hameln.

Vermutlich bald nach seiner Ankunft wurde Le Louarn in das Hamelner Zuchthaus-Außenlager Holzen (Außenkommando „Hecht“) bei Eschershausen zum mörderischen Arbeitseinsatz gebracht. Die Häftlinge mussten dort unter schwierigsten Bedingungen den vorhandenen Bergwerksstollen zur Aufnahme von Rüstungsproduktion vorbereiten. Die erlittenen Strapazen dürften Marcel Le Louarn nachhaltig geschwächt haben.

Marcel Le Louarn starb am 26. Februar 1945 im Zuchthaus-Außenlager Holzen. Sein Leichnam wurde zunächst auf dem Gemeindefriedhof Holzen bestattet, vermutlich 1946 jedoch in seine Heimat umgebettet.