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Vorder- und Rückseite des Grabsteins in Münchehof, 2012 (Foto: J. Wagner)

Das „Schland“-Mal von Münchehof

Im Mai 1945 gründet der jüdische KZ-Überlebende Joseph Soski das „Komitee der ehemaligen Häftlinge des KZ-Lagers Dora-Nordhausen“ in Seesen. Eines seiner vorrangigen Ziele ist es, ein würdiges Grabmal für 23 Mithäftlinge zu schaffen, die Anfang April 1945 einen Räumungstransport aus dem KZ Mittelbau-Dora nicht überlebt haben und auf dem Gemeindefriedhof von Münchehof bei Seesen bestattet wurden.

Auf der Suche nach Material für einen Gedenkstein hilft ihnen der von den Amerikanern eingesetzte Seesener Bürgermeister Arno Krosse (SPD), der sie auf ein Denkmal aufmerksam macht, dass die Nationalsozialisten 1938 aus Anlass des „Anschlusses“ von Österreich in der Stadt aufgestellt haben. „Als Symbol für den zerschlagenen Nazismus“, wie Soski später schreibt, teilen die KZ-Überlebenden den massiven Granitfindling mit der Inschrift „Großdeutschland“ und einer entsprechenden Landkarte in zwei Hälften. Eine der beiden Hälften stellen sie anschließend als Grabstein so auf dem Friedhof von Münchehof auf, dass auf der Rückseite ein Teil der Inschrift („tschland“) und der durchtrennten Landkarte samt der Jahreszahl 1938 aus dem Boden ragen. Auf der Vorderseite lassen sie in deutscher und englischer Sprache eine Inschrift zu Ehren der auf dem Friedhof bestatteten KZ-Häftlinge und die Bezeichnung der Stifter einmeißeln: „Comitee der KZ Kameraden“.

Im September 1945 wird das Denkmal, das in Deutschland eines der ersten Gedenkzeichen überhaupt für KZ-Opfer ist, feierlich eingeweiht. Doch schon wenige Jahre später, Joseph Soski ist mittlerweile in die USA emigriert, gerät es in Vergessenheit. Erst Ende der 1990er Jahre, nachdem Soski seine Memoiren geschrieben hat, wird das zugewachsene Denkmal wiederentdeckt. Seither finden dort jährlich Kranzniederlegungen statt.

Literatur:
Joseph Soski: Memories of a vanished world, unveröffentlichtes Manuskript, Washington D.C. 1991.

Jens-Christian Wagner: Das Verschwinden der Lager. Mittelbau-Dora und seine Außenlager im deutsch-deutschen Grenzbereich nach 1945, in: Habbo Knoch (Hg.): Das Erbe der Regionen, Heimatkultur und Geschichtspolitik nach 1945, Göttingen 2001, S. 171-190.